Bescheid? Haben ist besser als Wissen

Bisher dachte ich der Gesetzgeber hat doch glatt das Gewissen “vergessen”. Tatsächlich nur fast: im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBeitrStV) gibt es die Befreiung in “besonderen Härtefällen” (§ 4 Abs. 6). Was hat es mit diesen auf sich?

Rundfunkbeitragsstaatsvertrag im Detail

Es lohnt sich reinzulesen:

RBeitrStV § 4 Absatz 6

  • (1) Unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien.

Wird im Falle eines “besonderen Härtefalles” ein Antrag gestellt, so hat – im Sinne von “muss” – befreit zu werden.

  • (2) Ein Härtefall liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten.

Mit dem Wort insbesondere gibt der Gesetzgeber einen konkreten Fall vor: jemand der keine Sozialleistungen beziehen kann weil er bis zu 8,74 EUR zuviel Einkommen hat (die Hälfte des Rundfunkbeitrags abzüglich 1 Cent) – der wird von Landesrundfunkanstalt “ohne Wenn und Aber” befreit. Ab 8,75 EUR zuviel Einkommen braucht es halt den “sozialen Tag” des Intendanten…

Wichtig ist: neben dem genannten einen konkreten Fall sind noch andere “besondere Härtefälle” möglich! Genau das ist der Sinn dieser Wortwahl: der Gesetzgeber kann eben nicht alles voraussehen und will nicht Unrecht schaffen. Hierzu sagt Wikipedia:

Härtefallregelungen sollen gewährleisten, dass auch in Ausnahmefällen, die wegen ihrer atypischen Ausgestaltung nicht im Einzelnen vorhersehbar sind und sich deshalb nicht mit den abstrakten Merkmalen der Gesetzessprache erfassen lassen, ein Ergebnis erzielt wird, das dem Normergebnis in seiner grundsätzlichen Zielrichtung gleichwertig ist.

Also genau “mein (Ausnahme–) Fall” der Gewissensnot! Wikipedia weisst aber auf ein “kleines Problem” hin. Dazu später mehr…

RBeitrStV § 4 Absatz 7

  • (7) Die Voraussetzungen für die Befreiung oder Ermäßigung sind durch die entsprechende Bestätigung der Behörde oder des Leistungsträgers im Original oder durch den entsprechenden Bescheid im Original oder in beglaubigter Kopie nachzuweisen; im Falle des Absatzes 1 Nr. 10 1. Alternative genügt eine ärztliche Bescheinigung.

Bingo! Bescheid heisst “muss” Befreiung. Ich brauche eine Bescheinigung meiner Gewissensnot!

Als Wehrdienstverweigerer kenne ich das ja: ich musste damals noch schriftlich meine Gründe darlegen und dann haben Beamte darüber entschieden. In meinem und vielen anderen Fällen positiv: ich habe Zivildienst geleistet.

Welche Behörde stellt eine Bescheinigung meiner Gewissensnot aus?

Ich habe erstmal den Bürgerservice des Lahn-Dill-Kreis angerufen und wurde zur Pressestelle weitergeleitet. War wohl der erste Fall dieser Art. Nein – einen solchen Bescheid kann man mir nicht ausstellen, aber vielleicht der Bundesgerichtshof.

Der Bundesgerichtshof verwies mich an die hessische Staatskanzlei. Dort bin ich beim Fachreferat Rundfunkwesen gelandet.

Nein - eine solche Bescheinigung könne man mir nicht ausstellen. Ich müsste mich an den hessischen Rundfunk wenden.

Aber das würde nichts werden: Gewissensnot sei kein Grund um befreit zu werden – sagen ja die Verwaltungsgerichte. Sogar das Bundesverfassungsgericht hat (in meinen Worten) “satanische Wellen” nicht zugelassen. Und überhaupt: ich solle mal wegen der paar Euro (jetzt wortwörtlich zitiert) “die Kirche im Dorf lassen”.

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit “satanischen Wellen”? Nicht wirklich: der Fall wurde nicht in der Sache entschieden sondern mit Beschluss 1 BvR 2550 / 12 am 12.12.2012 abgewiesen: der Kläger hätte erst alle Instanzen der Verwaltungsgerichte durchlaufen müssen…

Aber “Die Kirche im Dorf lassen”? Wie soll denn das gehen? Die ist doch im Rundfunkrat und ich habe nichts davon gehört das die zurück will.

Was mich aber nach dem Gespräch betrübt: Rundfunkbeitrag: 17,50 €. Gewissen: unbezahlbar. Siehe Artikel 4 Grundgesetz. Wobei: es hat ja auch gedauert bis Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.

Ist der Hessische Rundfunk (Anstalt des öffentlichen Recht) eine Behörde?

Das Landgericht Tübingen hat da ja so seine Zweifel im Beschluss 5 T 232 / 16 vom 16.9.2016 geäussert. Fand ich gut denn und habe dem Intendanten darauf “hingewiesen”. War vielleicht “nicht so schlau”.

Hesssische Behörden unterliegen dem Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG). Analog wie vom LG Tübingen aufgezeigt – steht dort:

HVwVfG § 2 Ausnahmen vom Anwendungsbereich

  • (1) Dieses Gesetz gilt nicht für die Tätigkeit der Kirchen, der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie ihrer Verbände und Einrichtungen und für die Tätigkeit des Hessischen Rundfunks.

Das LG Tübingen verweisst dann auf die Behördendefinition durch das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG):

VwVfG § 1 Anwendungsbereich

  • (1) Dieses Gesetz gilt für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden
    1. des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts,
    2. der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie Bundesrecht im Auftrag des Bundes ausführen,
    soweit nicht Rechtsvorschriften des Bundes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten.
  • (4) Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.

Jurist möchte ich nicht sein: alleine schon für die Auslegung der Kommasetzung braucht es wohl ein Studium.

Ob mit dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz ein anderes Gesetz – wie vom LG Tübingen bezweifelt – anwendbar ist wird der Bundesgerichtshof entscheiden. Laut Antwort des Beitragsservice des Hessischen Rundfunks hat der Südwestrunfunk Rechtsbeschwerde eingelegt. Gegen mein Vollstreckungsverfahren nützt es mir somit erstmal nichts.

Aber: ich will jetzt erstmal einen Bescheid über meine Gewissensnot haben. Da sage ich mal der Hessische Rundfunk (Anstalt des öffentlichen Rechts) ist eine Behörde – der wirds mir schon glauben.

Was für eine Art von Behörde ist der hessische Rundfunk (Anstalt des öffentlichen Rechts)?

Das LG Tübingen weisst zurecht auf ein paar Ungereimheiten hin die alle Landesrundfunkanstalten und somit auch den Hessischen Rundfunk betreffen:

  • nach dessen Webseite ist es ein Unternehmen. Kein Hinweis auf eine Behörde.
  • ein Unternehmen das Sendezeit gewinnbringend veräussert
  • eine Behörde die als Unternehmen keine Beamten beschäftigt
  • Abläufe in einer Behörde müssen unabhängig von Personen sein die eine Funktion einnehmen

Wie funktioniert dieses Unternehmen als Behörde? Wer haftet eigentlich bei groben oder vorsetzlichen Verfahrensfehlern?

Letzteres laut Gesetz über den Hessischen Rundfunk (RdfunkG):

RdfunkG § 16

  • (2) 1 Die Intendantin oder der Intendant vertritt die Anstalt gerichtlich und außergerichtlich.

Gearbeitet wird somit im Namen des Intendanten nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG):

VwVfG § 10 Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens

  • Das Verwaltungsverfahren ist an bestimmte Formen nicht gebunden, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen. Es ist einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen.

VwVfG § 12 Handlungsfähigkeit

  • (1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen sind
    4. Behörden durch ihre Leiter, deren Vertreter oder Beauftragte.

Und nach welchen “Regeln” wird verfahren? Die muss es ja geben ansonsten würde jedes Verwaltungsverfahren dort von einzelnen Personen abhängen – genau das was ja laut LG Tübingen in einer Behörde nicht da Fall sein kann. Indirekt ergeben sich diese aus

VwVfG § 39 Begründung des Verwaltungsaktes

  • (2) Einer Begründung bedarf es nicht,
    1. soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift;
    4. wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt;
    5. wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

Da eine Ablehnung eines Antrags auf Befreiung aus Gewissensnot von dem Rundfunkbeitrag in meine Rechte aus Artikel 4 Grundgesetz eingreift und sich somit auch nicht aus Rechtsvorschriften ergeben kann müssen also eine Allgemeinverfügung oder entsprechende Verfahrensanweisungen existieren.

Das Problem mit den Rechtsvorschriften

Ein “kleines Problem” besteht wahrscheinlich darin, dass “Rechtsvorschrift” sowohl Gesetzgebung als auch Rechtsprechung beinhaltet. Demnach könnte sich der Hessische Rundfunk auf Urteile von Verwaltungsgerichten beziehen, die eine Befreiung aus Gewissensnot als nicht möglich definieren – wohl wissend das sich solche Urteile nur die rechtmässigkeit des Verwaltungsaktes und die Verwaltungshoheit der Landesrundfunkanstalt bestätigen.

Konklusio

Leider gibt es nur ein LG Tübingen.

Ich werde jedenfalls mit meinem Befreiungsantrag an den Hessischen Rundfunk anfragen welche Verfahrensvorschriften für die Bearbeitung dessen gelten.

Werden mir keine mitgeteilt, dann ist zu bezweifeln ob gleichgelagerte Fälle gleich behandelt werden und somit wiederum der Hessische Rundfunk den Anforderungen des VwVfG gerecht wird…